Das Familien- und Schulprojekt GER

Das Projekt GER wurde initiiert, um Kindern und Jugendlichen aus armen Familien ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. In der Mongolei lebt derzeit mehr als ein Drittel aller Einwohner unter der Armutsgrenze. Obgleich das Land innerhalb Zentralasiens als Muster einer gelungenen Demokratisierung gilt, brachte der 1990 erkämpfte Systemwechsel für viele Menschen letztlich eine Verschlechterung der alltäglichen Lebensverhältnisse. Gleich anderen ehemals sozialistischen Staaten wurde auch die Mongolei in den 1990er Jahren einer neoliberalen Strukturanpassungspolitik unterworfen und veranlasst, ihre zuvor leistungsfähigen Sozialsysteme im Gesundheits- und Bildungsbereich abzubauen. Von den Folgen besonders betroffen sind kinderreiche Einelternfamilien, Waisen sowie alleinstehende Großeltern mit verwaisten Enkelkindern.

Viele Familien haben keinen hinreichend gesicherten Lebensunterhalt, um selbst elementare Grundbedürfnisse zu befriedigen. Elend und Perspektivlosigkeit, ungeheizte Wohnstätten, mangelnde Nahrung, Kleidung und Zuwendung sind Ursachen dafür, dass zahlreiche Kinder und Jugendliche ihre Familien verlassen. Vor allem in der Hauptstadt Ulaanbaatar leben sie als Straßenkinder von Gelegenheitsarbeiten, Prostitution und Diebstahl, betteln um Almosen und übernachten bei Wintertemperaturen von – 40°C in der Kanalisation oder in Hausfluren. Das Projekt GER wurde 1996 gegründet, um präventiv tätig zu werden, arme Familien zu unterstützen und ggf. Straßenkindern die Rückkehr nach Hause zu ermöglichen. Mit dem Wort Ger wird im Mongolischen sowohl eine Jurte als traditionelle mobile Wohnstatt bezeichnet, als auch das Zuhause eines Menschen.

Das Projekt besteht aus drei Modulen: persönlichen Patenschaften, einer nonformalen Schule und einer Filzwerkstatt.

Ziel des ersten Projektmoduls ist es, über Patenschaften von monatlich 10 Euro pro Kind zunächst eine solide Grundversorgung und gesellschaftliche Integration aller Familienmitglieder zu gewährleisten. Je nach Situation konzentriert sich die weiterführende Sozialarbeit darauf, Kinder und Jugendliche in Bildungseinrichtungen zu (re-)integrieren, Erwachsene bei der Jobsuche zu unterstützen, nötigenfalls medizinische Behandlung bzw. Hilfsmittel zu organisieren, Papiere für Krankenversicherungen zu beschaffen, Schritte zur Kostensenkung und Einkommenserwirtschaftung des Haushaltes umzusetzen (Gemüseanbau, Kleinkredite, Anschaffung von Stromzählern, Kauf von Heizmaterial zum Rabattpreis etc.), den Familien auf Wunsch ein Sparkonto einzurichten und in Notfällen mit Rat und praktischer Hilfe Beistand zu leisten. Dieses Projektmodul wird von unserer Sozialarbeiterin und Projektleiterin, Frau R. Sarantuyaa, betreut.

Da staatliche Schulen keine Schulabbrecher aufnehmen, wurde 1997 als zweites Projektmodul eine nonformale Schule etabliert. Sie befindet sich im Jurtenviertel Bayankhoshuu am Stadtrand von Ulaanbaatar und wird derzeit von 40 Kindern und Jugendlichen aus armen Familien (26 Mädchen und 14 Jungen, davon 2 Voll- und 13 Halbwaisen) im Alter von 8-17 Jahren besucht. Aus Kapazitätsgründen, aber auch, weil viele Schüler/innen arbeiten müssen, findet der Unterricht in zwei Schichten statt. Er wird von der seit vielen Jahren in der nonformalen Bildungsarbeit erfahrenen Lehrerin P. Munkhtungalag erteilt, die sich hervorragend mit den Lebensverhältnissen der Schüler/innen auskennt. Ziel ist die Erlangung von Grundschulabschlüssen mit anschließendem Übergang in weiterführende Bildungseinrichtungen oder berufsqualifizierende Kurse. Neben dem Unterricht bietet die Projektschule Freizeit- und Ferienbetreuung (Feiern, Ausflüge, Museumsbesuche, Bibliothek, Sprachkurse, Theater, Mal- und Bastelkurse) und ist für die Schüler ein Anlaufpunkt in Notsituationen (z.B. bei häuslicher Gewalt).

Die Filzwerkstatt wurde als drittes Projektmodul mit einer Anschubfinanzierung der Deutschen Botschaft in Ulaanbaatar ins Leben gerufen. Dort arbeiten derzeit drei kunsthandwerklich bewanderte Frauen gemeinsam mit Jugendlichen, die diese Gelegenheit nutzen möchten, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und in sicherer Umgebung zum Einkommen ihrer Familien beizutragen.

Träger des Projektes sind Paten und Förderer. Hierbei handelt es sich vorwiegend um in Deutschland lebende Privatpersonen, die regelmäßig eine bestimmte Summe überweisen. Paten zahlen monatlich 10 Euro, Förderer bestimmen die Höhe ihrer Beiträge selbst. Laufende Kosten (Gehälter, Strom, Wasser, Holz & Kohlen, Pausensnacks für die Schüler, Fahrscheine, Briefporto etc.) werden aus Fördermitteln bestritten. Alle regelmäßigen Spender erhalten 1x pro Jahr einen aktuellen Bericht, die Paten unter ihnen zudem Informationen zur unterstützten Familie sowie ein Foto. Der Geldtransfer läuft über die Abteilung Spenderkontakte bei der Hilfsorganisation MISEREOR, welche die Kosten für Überweisungen in die Mongolei trägt und Spendenbescheinigungen ausstellt.

Von deutscher Seite leisten drei Mongolisten und eine Ethnologin (Absolventen der Berliner Humboldt-Universität) die Projektarbeit (Organisation, Spenderwerbung und -betreuung, Finanzbuchhaltung, Kontrolle der Abrechnungen und Weiterleitung) ehrenamtlich. Zudem warb eine seit 1997 ebenfalls ehrenamtlich tätige japanische Mongolistin größere Summen für den Bau der Schule und Bibliothek ein und organisierte einen mongolisch-japanischen Schüleraustausch. Auf diese Weise ist einerseits gewährleistet, dass in diesem Projekt keine sogenannten Verwaltungskosten anfallen, sondern jede Spende tatsächlich ihrer Bestimmung zugute kommt. Zum anderen erfolgt die gesamte projektinterne Kommunikation in mongolischer Sprache. Hierdurch haben wir direkten Kontakt zu allen Beteiligten und können bei der Auswahl der Mitarbeiter/innen Zielgruppennähe gewährleisten.

GER ist kein isoliertes Inselprojekt, sondern arbeitet vor Ort mit lokalen Institutionen (z.B. Kindergärten, Schulen, Kulturzentren, Berufsbildungseinrichtungen), Privatpersonen und anderen NGOs (z.B. Save the Children, Global Fund for Children) zusammen und nutzt deren Angebote und Strukturen. Von deutscher Seite beteiligen sich seit dem Jahr 2000 regelmäßig junge Berufstätige und Studierende mit großem Engagement an der Projektarbeit (u.a. vermittelt über das ASA-Programm, die Pfadfinder sowie die Humboldt-Universität).